Nachspielzeit
Eine Nacht im Theater. Eine verlassene Bühne nach einer Aufführung. Zwei Arbeitskollegen. Katja, Maskenbildnerin. Lutz, Lichttechniker.
Am Abend, nach verrichteter Arbeit, ist Lutz nicht nach Hause gegangen. Wie üblich ist er zuvor als letzter durchs Haus gegangen, hat Schalter, Fenster und Türen kontrolliert, seine Tasche gepackt und den Generalschlüssel hervorgeholt. Dann ist er geblieben. Zwischen herumstehenden Scheinwerfern und Lautsprechern döst er vor sich hin.
„Im leeren, dunklen Theater riecht es wie in einer Kirche. Und es liegt so ein leises Pochen in der Luft. Ich hatte keine Lust nach Hause zu gehen. Ich wollte nichts mehr sehen. Müde bin ich schon. Aber nach Hause will ich nicht.“
Katja kommt zurück in das verlassene Theater, auf der Suche nach ihren Zigaretten. Sie überraschen sich gegenseitig und bleiben. Beginnen zu erzählen, von der Arbeit, ihrem Leben, ihren Träumen, lernen sich kennen über die Oberfläche hinaus.
„Es ist tatsächlich so ein Pochen im Raum. In so einem leeren Theater, wenn es rundherum schwarz abgehängt ist, kann man sich alles vorstellen. Wir könnten jetzt spazieren gehen, überall, wo wir wollen, in einem Wald in der Abenddämmerung, in den noch leeren Straßen einer aufwachenden Großstadt, an einer abgelegenen Steilküste am Meer…“
Katjas Traum ist es, einmal auf der Bühne zu stehen und die Rolle ihres Lebens zu spielen. Und Lutz will spüren, wie es ist, jemand anderes zu sein, jemand ganz anderes.
Und so verbringen sie die Nacht im Theater miteinander – außerhalb der Zeit. In der „Nachspielzeit“.
Weitere Infos und Inszenierungen vom „Theater-im-Grund“ http://theater-im-grund.grundblick.de
Schauspiel | Janette Bosy, Willi Schmidt |
Text und Regie | Willi Schmidt |
„NACHSPIELZEIT“ IN DER WAGGONHALLE
„Der Regisseur ist König und der Intendant der Gott“
Im Fußball dauert die Nachspielzeit meistens nur drei bis fünf Minuten und kann doch, wie die Zuschauer am Dienstag in der Waggonhalle erfahren sollten, auch dort bereits Großes bewirken.
Marburg. Das Bühnenstück nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Willi Schmidt, der zusammen mit Janette Bosy auch auf der Bühne steht, dauert eher eine Stunde und erzählt von einer ganzen Nacht.
Die gehört in der Inszenierung allein den beiden Figuren Katja und Lutz, die nach einem Theaterstück noch länger bleiben – es ist ihre Nachspielzeit. Für Lutz, einen vom Leben enttäuschten Lichttechniker, ist es längst normal, diese Zeit alleine zu verbringen, denn zu Hause wartet schon lange niemand mehr auf ihn: „Meine Frau war Schauspielerin, immer hat sie rumgeheult, weil sie bessere Rollen wollte. Ich sagte mal im Zorn zu ihr: ,Dann geh doch mit dem Intendanten ins Bett, wenn es dir hilft, macht mir nichts aus!‘ Aber das hat es dann doch.“
Heute gibt es für Lutz nur noch Fußball, wobei ihn vor allem die Erinnerung an die Nachspielzeit im Champions-League-Finale 1999 bis heute quält, als Manchester United noch das Siegtor gegen seinen geliebten FC Bayern München erzielte.
Katja hingegen will nach Feierabend nur etwas von der teuren Schminke stibitzen, wobei ihr eine Spinne in die Quere kommt, die Lutz zur Strecke bringt. Aus dieser Situation entsteht ein Gespräch, eine Reise durch zwei Leben und mit der Kraft der Phantasie aus eben diesen Leben hinaus, denn beide träumen sich schon lange fort – mal in geschönte Kindheitserinnerungen, mal in eine ganz andere Wirklichkeit.
Dabei halten Katja und Lutz mit Kritik an der Theaterwelt nicht zurück, vor allem die quer eingestiegene Maskenbildnerin fühlt sich oft missverstanden und glaubt, ihre Kolleginnen würden ihr Affairen für den beruflichen Erfolg unterstellen. „Tja, hinten rum beschweren sich viele, aber vor dem Chef halten sie dann das Maul, denn der Regisseur ist König und der Intendant, der ist Gott“, schreit sie ihren Zorn hinaus.
Für Zuschauer, die auf der Bühne sitzend den beiden Schauspielern auf den Rängen zusehen, ist diese „Nachspielzeit“ ein eindringliches Erlebnis.
von Marcus Hergenhan
(Oberhessische Presse vom 02.09.2016)
Theaterstück kritisierte das Theater
Die Zuschauer sitzen umgekehrt zur üblichen Richtung. Dort, wo sonst die Bühne ist, haben knapp 30 Besucher Platz genommen. Dort, wo sonst das Publikum sitzt, treten die Schauspieler auf.
Das Theaterstück „Nachspielzeit“ nach einer Kurzgeschichte von Willi Schmidt feierte am Dienstag (30. August) Premiere in der Waggonhalle. Die Umkehrung der Sitzordnung war dabei nicht zufällig, sondern eine folgerichtige Umsetzung des dargestellten Inhalts.
Die Maskenbildnerin Katja kehrt in den Theatersaal zurück, wo sie ihre Zigaretten vergessen hat. Dort stört sie den Beleuchter Lutz, der zwischen den ausgeschalteten Lampen liegt und döst. Nach Hause will er nicht, denn dort erwartet ihn niemand.
„Ist es wahr, dass Du Dich für nichts anderes interessierst als für Fußball?“ Ihre Frage beantwortet Lutz mit einem Achselzucken.
Dann erzählt er ihr von der Nachspielzeit: IN der Champions League (CL) verlor der FC Bayern seine Führung in der Nachspielzeit. In allerletzter Minute zog Barcelona gleich und erzielte dann sofort danach noch ein weiteres Tor, das es ins Finale der CL brachte.
Für Lutz ist die Nachspielzeit eine traurige Angelegenheit: Seit seine Frau ihn verlassen hat, hängt er nur noch traurig herum. Am Theater fühlt er sich ohnehin nicht wohl, weil die Schauspieler eher ihre eigene Eitelkeit pflegen als die Kunst.
Zwischen dem Beleuchter und der Maskenbildnerin entspannt sich ein Dialog über karrieregeile Schauspieler, Regisseure und Intendanten. Manches mochte durchaus dem entsprechen, was hinter den Kulissen eines Provinztheaters vor sich geht.
Nach und nach ließen Lutz und Katja ihre Masken fallen. Immer persönlicher und tiefschürfender wurde ihr Gespräch. Ängste und Frust kamen dabei ebenso ans Tageslicht wie der Wunsch, wenigstens von einem Menschen angenommen zu werden.
Sehr gekonnt ließen Schmidt und seine Bühnenpartnerin die beiden Charaktere plastisch vor den Augen des Publikums entstehen. Die schauspielerischen Leistungen der beiden waren absolut überzeugend.
Etwas mehr Dramaturgie hätte dem Stück allerdings gut getan. Mitunter plätscherte die Handlund in Dialgen dahin, die zwischen Belanglosigkeiten und tiefschürfenden Betrachtungen und Aussagen wechselten.
Berührend waren die Szenen, in denen die beiden Protagonisten ihre Empfindungen und Äbngste äußerten. Gelungen war auch der Einstieg, der dem Theater und seiner selbstbezogenen Eitelkeit einen kritischen Spiegel vorhielt. Dazwischen gab es leider auch ein paar Längen, die vielleicht hätten zusammengekürzt werden können.
Insgesamt zeigte sich Schmidt aber wieder einmal als Meister des berührenden Theaters und kongenialer Darsteller seiner eigenen Protagonisten. Umso bedauerlicher ist, dass der geringe Publikumszuspruch dieses hohe Niveau nicht angemessen würdigt.
Franz-Josef Hanke – 31.08.2016
(marburgnews.de)