Marburg. Nach fast zweieinhalb Stunden Party im Konfettiregen mit der „Rocky Horror Show“ gab es am Mittwochabend nach der ausverkauften Open-Air-Premiere auf dem Waggonhalle-Gelände minutenlang Standing Ovations für das Ensemble und das große Team hinter den Kulissen und Zugabe um Zugabe für das Publikum. Die „Rocky Horror Show“ ist die bislang größte Musical-Produktion der Waggonhalle – und es war eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal überhaupt wurde sie komplett in Deutsch aufgeführt – also auch die vielen mitreißenden Songs.
Abgesegnet hatte dies zuvor Richard O’Brian, der das Musical 1973 auf die Bühne brachte. Spätestens mit dem Film 1975 wurde die „Rocky Horror Show“ zum Party-Kult-Musical, das bis heute Menschen in der ganzen Welt begeistert.
Regisseur Jens D. Ravari sowie die Produktionsleiter Kurosch Abbasi und Tom Feldrappe sind ein großes Risiko eingegangen, nicht nur – wie sonst üblich – die Dialoge, sondern auch die Songtexte von Richard O’Brian in die bisweilen doch etwas sperrige deutsche Sprache zu übertragen. Das ist für eingefleischte Rocky-Horror-Fans, die jeden Song kennen, sicherlich gewöhnungsbedürftig. Es geht nicht immer, aber insgesamt gesehen doch verblüffend gut auf. Das liegt auch an den starken Sängerinnen und Sängern, die aus ganz Deutschland und darüber hinaus den Weg in das Team gefunden haben und an der sehr guten Band.
Für ein Rockmusical
etwas zu leise
Ein zentraler Kritikpunkt ist die Lautstärke, genauer: die fehlende Lautstärke, mit der das Team zu Werke geht. Für ein Rockmusical mit Welthits wie „The Time Warp“, „Sweet Transvestite“ oder „Don’t Dream it, be it“ ist dies vor allem für die hinteren Sitzreihen – subjektiv betrachtet – viel zu soft. Klar: Die gedämpfte Akustik ist der Open-Air- und Nachbarschaftssituation der Waggonhalle geschuldet, die darauf einfach Rücksicht nehmen muss. Ein Tipp: früh kommen und Plätze möglichst weit vorne ergattern.
Nach den jüngsten Corona-Lockerungen des Landes überlegt die Waggonhalle, die doch sehr weit auseinanderstehenden Plätze ein wenig nach vorne zu rücken. Zudem soll das Platzkontingent von derzeit 190 Zuschauerinnen und Zuschauern auf 200 erhöht werden. Positiver Nebeneffekt: Für die beiden Shows heute und morgen Abend gibt es für Kurzentschlossene noch einige freie Plätze.
Die Handlung des Musicals ist schnell erzählt: Brad und Janet sind ein junges Paar. Bei einem Unwetter stranden sie mit ihrem Auto in der nähe eines abgelegenen Schlosses. Dort leben merkwürdige Gestalten, Aliens vom Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania. Ihr Chef ist Frank’N’Furter, ein Transvestit, der wie Frankenstein ein Retortenwesen schafft – Rocky plant er als sexuellen Spielgefährten. Nebenbei verführt er erst Janet, dann Brad. Am Ende gibt es eine Revolution – Frank’N’Furter wird von den Aliens Riff-Raff und Magenta entmachtet und getötet. Zurück bleiben verstörte Erdlinge.
Die „Rocky Horror Show“ ist sexy, lasziv, bizarr mit vielen sexuellen Anspielungen – das macht bis heute den Reiz dieses Musicals aus. Warb Richard O’Brian 1973 mit seinem Werk noch für Toleranz, so steht heute eindeutig der Spaß-Faktor im Vordergrund. Es ist ein Party-Musical, und je mehr Party, desto mehr Spaß. Interaktion mit dem Publikum ist ausdrücklich erwünscht. Dazu gehören Rufe wie „langweilig“ oder „ausziehen“ – natürlich nur an den richtigen Stellen. Dazu gehören Wasserpistolen, Klopapierrollen, Schnuller, Kondome und – im Marburger Fall – Konfetti, das den Reis ersetzt, der früher in rauen Mengen geworfen wurde.
„Überlebenstaschen“ mit
allem, was der Fan braucht
All das gibt es – und das ist ein toller Einfall der Musical-Macher – am Eingang. Dort kann man Rocky-Horror-Show-Überlebentaschen kaufen, mit allem, was der Fan braucht und mit einer Bedienungsanleitung für Unkundige oder Unsichere. P.S.: Die Wasserpistolen muss man am Eingang „laden“ – dafür stehen Wassereimer bereit. Und danach heißt es: Mitmachen und Spaß haben bei der Party.
Ravari, Abbasi, Feldrappe und Co. haben jede Rolle doppelt besetzt. Schließlich soll das Musical ab Oktober die Waggonhalle füllen, falls die Corona-Inzidenzen das dann zulassen. Geplant sind bis kommenden August rund 60 Shows. Da braucht man so eine große Besetzung, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Gestern Abend war übrigens das zweite Team an der Reihe. Heute und morgen wechseln sie sich wieder ab. Gibt es einen Unterschied?: „Klar, wie Salz und Pfeffer“, sagten die beiden Frank’N’Furters David Jdee Lammich und Marc Staudinger vor der Premiere der OP.
Nach der Premiere, die sich auch der hessische Staatsminister für Soziales und Integration, Kai Klose, ansah, warb Regisseur Ravari beim Publikum um Spenden für die Hochwasseropfer. Das gesamte Team unterstützt die Hochwasserhilfe des Deutschen Roten Kreuzes.